OEM & Lieferant Ausgabe 1/2022

26 des HVAC zur transienten Ermittlung der Ein- und Austrittstemperaturen der Kabinenluft. Zum anderen liegt er auf der Abbildung des hydraulischen Verhaltens des HVAC, um eine Aussage über die Luftverteilung in den einzelnen Kanälen in Abhängigkeit der individuellen Klappenstellungen im HVAC zu erhalten und damit die Luftverteilung im Fahrzeuginnenraum abbilden zu können. Um die hierfür benötigten Informationen zu ermitteln, wird das HVAC-Modul in Prüfstandsaufbauten detailliert vermessen. Diese Aufgabe übernimmt ein erfahrener Kooperationspartner, die IPETRONIK GmbH & Co. KG, mit der ARRK Engineering bereits seit 10 Jahren eine enge Zusammenarbeit im Thema Thermomanagement führt. Neben dem HVAC-Modul kann die Vermessung aller anderen relevanten Komponenten, wie beispielsweise denen des Kältekreises, ebenfalls durch die IPETRONIK GmbH & Co. KG durchgeführt werden. Um die Hardware-Messungen auf die Simulation zu übertragen, ist darüber hinaus ein detailliertes Modell der Fahrzeugkabine und des Insassen notwendig, welches mit der ARRK-eigenen Simulationssoftware THESEUS-FE erstellt wird. Zur Abbildung der Insassen umfasst das Tool ein komplexes Menschmodell auf Basis des Fiala-Insassenmodells. Es imitiert die für den Luf t- und Wärmeaustausch relevanten menschlichen Körperfunktionen wie Atmung, Blutkreislauf, Schwitzen sowie Kältezittern und berücksichtigt unterschiedliche Bekleidungssituationen. Um detaillierte Randbedingungen an allen Körperteilen für thermische Komfortaussagen mit dem Menschmodell bereitstellen zu können, ermöglicht das Tool mit dem neuentwickelten „Pseudo-3D-Ansatz“ eine sehr feine und automatisierte Diskretisierung des Gesamtluftvolumens in einzelne Luftzonen. Darüber hinaus wird die Simulationsgeschwindigkeit durch den „Pseudo-3D-Ansatz“ enorm erhöht, was für die hochdynamischen transienten Simulat ionen uner lässlich ist. Innerhalb der Luftzonen können jeweils detaillierte Aussagen über die Luftgeschwindigkeit, -temperatur und -feuchte sowie über die lang- und kurzwellige Strahlung gemacht werden. Selbstverständlich werden bei Sommerlastfällen die Sonnenposition und die dadurch angestrahlten oder abgeschatteten Bereiche in Abhängigkeit von der Fahrzeug- und Scheibengeometrie sowie der Fahrzeugausrichtung automatisch ermittelt. Da sich die Luft- und die Oberflächentemperaturen gegenseitig beeinflussen, betrachtet THESEUS-FE Strahlungs-, Strömungs- und Wärmeleitungsprozesse an einem definierten Bauteil als gekoppeltes System. Für die Bewertung des gemessenen und modellierten thermischen Komforts stellt schließlich der Komfortindex nach ISO 14505-2 die Grundlage dar, der das thermische Empfinden in Fahrzeugkabinen auf Basis der Äquivalenttemperatur beschreibt und in THESEUS-FE implementiert ist. Mit Hilfe dieses Index sollen möglichst objektive Aussagen über den Einfluss der unterschiedlichen dynamischen Faktoren auf den Klimakomfort im Fahrzeuginnenraum getätigt werden. Diese sollen schließlich für die Definition allgemeiner Komfort- und Klimatisierungsziele – und daraus folgend für die Erstellung eines universellen Lastenhefts – zur Verfügung stehen. Entwicklung eines Komfort-Use- Case für transiente Klimalastfälle Nachdem die einzelnen Modelle in Beziehung zueinander gesetzt wurden, müssen die daraus gewonnenen Simulationen in den kommenden Monaten mit realen Fahrten verglichen und etwaige Fehlerquellen sowie Ungenauigkeiten in den Berechnungen identifiziert und kompensiert werden. Hierfür wurden bereits Testfahrten mit dem selbst entwickelten ARRK-Dummy durchgeführt. Dieser ist mit 31 gleichmäßig über den Körper verteilten Sensoren zur Messung der Lufttemperatur und -feuchte, der lang- und kurzwelligen Strahlung sowie der Windgeschwindigkeit ausgestattet. Eine überarbeitete Version des Dummys befindet sich derzeit in Entwicklung. Sie soll zukünftig nicht nur über die rund dreifache Anzahl an Sensoren verfügen, sondern auch zusätzliche Werte wie die Kontaktwärmeströme aufzeichnen können. Die Effekte, die bei solchen Fahrten gegenseitig aufeinander einwirken, werden einerseits vom Außenklima, dem Straßenverlauf inner- oder außerorts sowie wechselnder, direkter und indirekter Sonnenstrahlung aus unterschiedlichen Winkeln und Richtungen hervorgerufen. Neben diesen äußeren Faktoren, welche sich auf die Insassen und den von ihnen wahrgenommenen thermischen Komfort in Abhängigkeit von deren Alter, körperlicher Verfassung und Körpermasse auswirken, spielt auch die jeweilige Personenanzahl in der Fahrgastzelle eine Rolle. Nachdem die Simulationen verifiziert werden konnten, rückt das finale Vorhaben in den Fokus: Die zahlreichen, das Fahrzeuginnenraumklima und somit den Komfortwert beeinflussenden Faktoren sollen in all ihren Facetten ausgewertet und objektiviert werden. Die Zukunft der thermischen Komfortbewertung und -applikation Sobald ARRK Engineering diese dynamischen Fahrten ausreichend präzise und schnell simulieren kann, wird der letzte große Schritt des Entwicklungsprozesses für Klimatisierung und Klimakomfort in Angriff genommen. Denn wenn alle für die Berechnung der transienten Lastfälle notwendigen Puzzleteile virtuell reproduzierbar sind, versetzt das die Spezialisten in die vielversprechende Lage, aus diesen Werten konkrete Auswirkungen auf das klimabedingte Wohlbefinden der Insassen abzuleiten. Dementsprechend können objektivierte Handlungsanweisungen für das Thermomanagementsystem mit integrierter Regelung des HVAC-Systems folgen. Sind diese dynamischen Prozesse erst einmal in einem Komfort-Lastenheft festgehalten, kann die tatsächliche Applikationsarbeit im Testfahrzeug auf ein Minimum, nämlich lediglich die abschließende Feinabstimmung am finalen Fahrzeug, reduziert werden. Auf diese Weise wird die Verwendung der virtuellen Applikation, mit deren Hilfe früh, schnell und unkompliziert auf veränderte Lastfälle und Randbedingungen eingegangen werden kann, zu einer deutlich reduzierten Entwicklungszeit im Vergleich zur manuellen Applikation führen. Dies wird die zukünftige Vorgehensweise der thermischen Komfortbewertung und -applikation in der Automobilentwicklung grundsätzlich verändern. ARRK Engineering www.arrk-engineering.com Teilen Aufgrund der steigenden Konkurrenz in der Branche rückt der thermische Komfort in der Fahrzeugkabine zunehmend als Differenzierungsmerkmal in den Fokus. Bild: © hiphotos35/iStock

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